von Alexander Schwarz, M.A. & Julia Grieshammer, B.A.

Im Rahmen der Bayreuther Friedensgespräche fand am 26. Januar 2023 die Podiumsdiskussion „11 Monate Krieg gegen die Ukraine – Was war, was kommt?“ im Reichshof Bayreuth statt. Das Podium setzte sich dabei nicht nur mit den Hintergründen und aktuellen Geschehnissen des Angriffskrieges auseinander, sondern debattierte gerade auch realpolitische Bedingungen für dessen Ende. Moderiert wurde die Diskussion von Julia Eichenberg (Historikerin an der Universität Bayreuth) und Florian Kühn (wissenschaftlicher Leiter des BMBF-Verbundes „Deutungskämpfe im Übergang“, Universität Bayreuth). Die wichtigsten Punkte und spannendsten Gedankengänge sind folgend zusammengefasst.

Eine immer wiederkehrende Argumentation im (öffentlichen) Diskurs, um Friedensverhandlungen in Gang zu bringen, ist der Ruf nach konkreten Gebietsabtretungen. So hat Russland mit der völkerrechtswidrigen Annexion bereits Fakten geschaffen, wohingegen die Rückeroberung aller besetzten Gebiete ein erklärtes Ziel der ukrainischen Regierung darstellt.

Laut Guido Hausmann (Professor für Geschichte Ost- und Südosteuropas, Universität Regensburg) stellt die russische Propaganda im Krieg gegen die Ukraine kontinuierlich Bezüge auf die „großen Kriege“ her. Für Russland sei es daher entscheidend, dass es eine Siegeserfahrung sowie territoriale Erweiterungen gibt. Das russische Regime habe kein Interesse an der ukrainischen Bevölkerung, sondern an Territorium und Rohstoffen. Polina Barvinska (Professorin für Neuere und Neueste Geschichte, Universität Odessa) sieht ihre Landsleute in der Ukraine in Gefahr, einem ebenso starren und totalitären Regime wie es Russland momentan hat, ausgesetzt zu sein, sollte die Ukraine (oder Teile davon) an Russland fallen. Für sie ist demnach nicht die Möglichkeit des territorialen Verlusts, sondern die Gefahr für die dort lebenden Menschen von entscheidender Bedeutung. Martin Doevenspeck (Professor für Politische Geographie, Universität Bayreuth) sieht in Gebietsgewinnen der ukrainischen Armee überhaupt erst Argumente für eine Verhandlungsbasis. Einen „Zwischenfrieden“ sieht er als Trugschluss. Das heißt, dass weitere „Rückeroberungen“ für die Ukraine unabdingbar sind. Auf dem Podium besteht Einigkeit darüber, dass die Möglichkeit eines langfristigen Friedens allein durch Verhandlungen nicht gegeben sein wird.

Die zentrale Frage, was passieren muss, um einem nachhaltigen Frieden zu gewinnen, ist daran gekoppelt, was die jeweiligen Parteien für sich als akzeptable Bedingungen für den Einstieg in tatsächliche Verhandlungen erachten. Polina Barvinska, die aufgrund des Krieges nun in München (LMU) und Regensburg (IOS) forscht, konstatiert dabei realistisch wie pessimistisch, dass Putin keinen Frieden benötigt, sondern lediglich eine Pause in diesem Krieg. Aus ihrer Sicht gäbe es für Putin nur zwei Lösungen: eine Ukraine in Russland oder eine Ukraine mit Satellitenregierung. Die Wahrscheinlichkeit für Verhandlungsbemühungen von russischer Seite hält sie in absehbarer Zeit für gering. Martin Doevenspeck unterstützt diese Stoßrichtung und fügt hinzu, dass es seiner Meinung nach sechs Bedingungen für einen langfristigen Frieden gibt, die allesamt nicht absehbar erscheinen: die Abgabe russischer Atomwaffen, eine Dezentralisierung der Russischen Föderation, die Aufgabe des russischen Imperialismus, eine mindestens zwei Generationen andauernde Ent-Putinisierung, den NATO-Beitritt der Ukraine und eine Unabhängigkeit Europas von Rohstoffen aus Sibirien.

Auf die Frage, woher die Sicherheit komme, dass mit territorialen Gewinnen der Ukraine die russischen Aggressionen enden, gibt Martin Doevenspeck zu bedenken, dass es niemals eine Möglichkeit gebe, zu wissen, wann für Putin eine rote Linie überschritten wird und es zum Einsatz von Atomwaffen kommen könnte. Russland habe stets die Möglichkeit, diesen Krieg zu verlängern, allerdings sei die Unterstützung der Ukraine durch andere Länder schon deshalb nötig und sinnvoll, da dies die Operationsmöglichkeiten Russlands einschränke. Tim Pargent (MdL/Die Grünen) sieht ebenfalls nicht, dass Russland generell seine außenpolitische Agenda, inkl. Wahlmanipulationen und Cyberkriminalität, einschränken wird, sondern beobachtet, dass diese eher zunehmen.

Es habe sich ein ‚Wandel weg vom fundamentalen Pazifismus‘ und eine Anerkennung der ‚Notwendigkeit der Militarisierung‘ vollzogen, argumentiert Tim Pargent über die Entwicklung der Position seiner Partei zu Waffenlieferungen. Er betont allerdings, dass sich die Hilfe nie nur auf Waffenlieferungen alleine beschränken dürfe. Die in Deutschland kontrovers diskutierten pazifistischen Positionen finden auf dem Podium wenig Zustimmung. Polina Barvinska verstand sich einstmals als pazifistische Historikerin, sieht aber in den gegenwärtigen Entwicklungen, dass die Diplomatie versagt habe. Selbst als Pazifistin blieben ihr heute keine pazifistischen Illusionen mehr.

Die Möglichkeit eines militärischen Sieges der Ukraine über Russland schätzt das Podium im Ganzen als unwahrscheinlich ein. Allerdings muss die Ukraine als eigenständiger Akteur betrachtet werden. Dabei wird auf den Objektcharakter der ukrainischen Regierung in den Verhandlungen der Minsker-Abkommen verwiesen. Letzten Endes muss die Ukraine unter der Mithilfe des Westens Bedingungen schaffen, die tatsächliche Friedensziele in Aussicht stellen. Dabei findet auch die von Tim Pargent in die Diskussion eingebrachte Möglichkeit einer Blauhelm-Mission mit deutscher Beteiligung zur Etablierung eines Waffenstillstandes breite Zustimmung. Vergleichbar zu anderen Kriegen des 20. Jahrhunderts, resümiert Julia Eichenberg, müsste man nicht nur über Kriegsziele, sondern auch über Friedensziele diskutieren.

Julia Eichenberg, Polina Barvinska, und Martin Doevenspeck (v.l.n.r.)

Guido Hausmann, Tim Pargent, und Florian Kühn (v.l.n.r.)

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