Das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) hat den interdisziplinären Regionalverbund „Bayerisches Zentrum für Friedens- und Konfliktforschung“ bis 2028 verlängert. Im Verbund kooperieren die Universität Bayreuth, die Universität Augsburg sowie das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) München–Berlin, und arbeiten mit weiteren regionalen Partnern wie der bayrischen Wissenschaftsallianz für Friedens-, Konflikt- und Sicherheitsforschung (FoKS) zusammen. Die beteiligten Wissenschafter*innen untersuchen Dynamiken des politischen Wandels sowie deren friedensrelevante Folgen und fördern durch Vernetzungsaktivitäten die regionale Strukturbildung in der Friedens- und Konfliktforschung.
Der 2022 eingerichtete Verbund „Bayerisches Zentrum für Friedens- und Konfliktforschung: Deutungskämpfe im Übergang“ (BZeFK) wird vom BMFTR mit 925.000 Euro für zwei weitere Jahre (2026–2028) gefördert. Koordiniert an der Universität Bayreuth erforscht der Verbund, wie Gesellschaften in Zeiten des Wandels um Deutungen der Vergangenheit und Gegenwart ringen, um die Zukunft zu gestalten. Dabei liegt ein besonderer Schwerpunkt auf der weiteren Vertiefung regionaler Zusammenarbeit in der Friedens- und Konfliktforschung sowie auf interdisziplinärer Forschung, die Ansätze aus der Soziologie, der Geschichtswissenschaft, den Internationalen Beziehungen und der Politikwissenschaft verknüpft.
Die Dynamiken solcher Auseinandersetzungen und ihre Friedensimplikationen werden in Fallstudien mit aktueller Relevanz untersucht, etwa in Deutungskämpfen um die Position der Ukraine, den Klimawandel, die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt und die Verantwortung von Rüstungskonzernen für Gewalt. Zudem historisieren Verbundmitglieder gegenwärtige Konflikte, zum Beispiel anhand des Zerfalls der Sowjetunion und seiner Folgen für die europäische Friedensordnung. „Damit liefert der Verbund sowohl wichtige Beiträge zu internationalen wissenschaftlichen Debatten als auch Impulse für die Gesellschafts- und Politikberatung in diesen Zeiten des rapiden Wandels, ermöglicht durch vertiefte regionale und interdisziplinäre Zusammenarbeit“, so Prof. Dr. Jana Hönke (Projektleiterin BZeFK und Inhaberin des Lehrstuhls für Soziologie in Afrika der Universität Bayreuth).
Dynamiken von Deutungskämpfen und ihre Auswirkungen auf politischen Wandel
Der BZeFK-Verbund wird im Rahmen der Förderlinie des BMFTR zur Stärkung und Weiterentwicklung der Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland gefördert. Ziel ist es, interdisziplinäre und methodenvielfältige Forschungsstrukturen sowie den Wissenstransfer zu stärken, um Orientierungswissen für Politik und Gesellschaft bereitzustellen. Dafür bringt der interdisziplinäre Verbund Forscher*innen aus Politik- und Geschichtswissenschaft, den Internationalen Beziehungen, Soziologie und Friedensforschung zusammen.
In der ersten Förderphase (2022–2026) hat das BZeFK, koordiniert von PD. Dr. Florian Kühn (Universitäten Bayreuth und Göteborg) sowie Dr. Jan Sändig (Universität Bayreuth), einen innovativen und interdisziplinären Forschungsansatz entwickelt. Dieser rekonstruiert den historischen Verlauf von Deutungskämpfen, analysiert ihr Verhältnis zu Gewalt und reflektiert die (Selbst-)Positionierung wissenschaftlicher Arbeit. Zentral ist eine praxeologische Perspektive, die Handlungen nicht isoliert betrachtet, sondern Deutungskämpfe um gesellschaftliche Vorstellungen von friedlicher Ordnung zeitlich und ideengeschichtlich einordnet. Die Verbundforschung zeigt, wie Deutungskämpfe nicht zwangsläufig in Gewalt, sondern häufig in geregelte Konfliktbearbeitung führen – verbunden mit mehrdimensionalen Gerechtigkeitsvorstellungen, die politisch ausgehandelt werden müssen.
Der Bayreuther Standort koordiniert in der neuen Förderphase weiterhin den Gesamtverbund und ist über drei Teilprojekte beteiligt: Im Teilprojekt zu Deutungskämpfen um den Klimawandel untersuchen Prof. Dr. Jana Hönke und Dr. Jan Sändig die Rolle und den Einfluss ugandischer Klimaaktivist*innen auf die transnationale Zivilgesellschaft und die internationalen Klimaschutzdebatten. Ein weiteres Teilprojekt, geleitet von PD Dr. Julia Eichenberg und Prof. Dr. Jana Hönke, analysiert Deutungskämpfe um die Verantwortung von Rüstungskonzernen für die mit ihren Waffen verübte Gewalt. PD Dr. Florian P. Kühn wird zudem seine Forschung zur Rolle von Ambiguität für politische Konflikte anhand der mehrdeutigen Positionierung der Ukraine zwischen Europa und Russland vertiefen.
An der Universität Augsburg leitet Prof. Dr. Christoph Weller ein Teilprojekt zu Deutungskämpfen um sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Das Projekt zielt darauf ab, Spannungsfelder, Konfliktlinien und Wechselwirkungen dieser Deutungskämpfe zwischen Verantwortungszuschreibungen, gesellschaftlichen Normen sowie sozialen und institutionellen Praktiken offenzulegen, und aufzuzeigen, wie Verantwortung in diesem Kontext gesellschaftlich ausgehandelt und politisch (nicht) umgesetzt wurde.
Am IfZ in München sind Prof. Dr. Isabel Heinemann (neue Direktorin des IfZ), Prof. Dr. Andreas Wirsching (ehemaliger IfZ-Direktor) und Dr. Christian Methfessel am Verbund beteiligt. Christian Methfessel wird seine Forschung aus der ersten Förderphase mit Fokus auf den Zerfall der Sowjetunion und die Deutungskämpfe um die internationale Ordnung nach dem Kalten Krieg fortsetzen. Das Teilprojekt analysiert insbesondere die britische und deutsche Politik mit Blick auf die Neuaushandlung internationaler Normen (u.a. territoriale Integrität, Selbstbestimmungsrecht, Minderheitenrechte) in Reaktion auf die kriegerische Auflösung der multi-ethnischen jugoslawischen Föderation.
Vertiefung regionaler und interdisziplinärer Strukturen der Friedens- und Konfliktforschung
Das BZeFK stärkt die regionale Vernetzung und die Strukturbildung der Friedens- und Konfliktforschung in Bayern und darüber hinaus. Die Verbundmitglieder sind zugleich Fellows der Bayerischen Wissenschaftsallianz für Friedens-, Konflikt- und Sicherheitsforschung (FoKS), an der die Universität Bayreuth als Gründungsmitglied und weiterhin im Leitungsgremium beteiligt ist. Die Allianz, gefördert vom Bayerischen Wissenschaftsministerium, bietet Outreach‑ und Politikberatungsformate, Vernetzungsveranstaltungen sowie Unterstützung für die Lehre.
In der Friedensstadt Augsburg unterstützen die Verbundbeteiligten das neugegründete Transferzentrum Frieden Augsburg, das öffentliche Veranstaltungen, zielgruppenspezifische Qualifizierung und Vernetzungsaktivitäten anbietet.
Die Bayreuther BZeFK-Mitglieder sind zugleich am UBT Peace and Conflict Research Network beteiligt, das seit 2022 Kolleginnen und Kollegen an der Universität Bayreuth in einem neuen Forschungsschwerpunkt zusammenbringt. Das Netzwerk organisiert die Vortragsreihe Bayreuth Peace Talks, Outreach-Aktivitäten, Nachwuchsworkshops und Lehrangebote und koordiniert Forschungsprojekte an der Universität Bayreuth, die z.T. länderübergreifend die Dynamiken von Gewalt und der Organisation des Friedens erforschen. So werden die regionalen Aktivitäten zur Strukturbildung der Friedens- und Konfliktforschung vor Ort gestärkt, und zugleich fließen Erkenntnisse sowie Impulse aus dem BZeFK direkt in Politikberatung und gesellschaftliche Debatten ein.
(Überarbeitete Version, basierend auf der Pressemitteilung der Universität Bayreuth)
