An der diesjährigen Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK) waren Mitglieder von „Deutungskämpfe im Übergang“ auf vielfältige Weise beteiligt: mit einem Panel, einer Fishbowl-Diskussion sowie als Moderator*innen.

Im Panel „Deutungskämpfe im Übergang: Eine historische, diskursive, und reflexive Perspektive“ (30.3.2023) stellten wir den Forschungsansatz unseres Verbundes vor. Einleitend skizzierte Jan Sändig (Universität Bayreuth) den thematischen Rahmen des Verbundes und lud die Anwesenden zu einer kritischen Auseinandersetzung mit unserer Forschungsperspektive ein. Christian Methfessel (Institut für Zeitgeschichte München–Berlin) referierte daraufhin zum Thema „Der Zerfall Jugoslawiens und die deutsche Politik: Deutungskämpfe um territoriale Integrität, Selbstbestimmungsrecht und Gewaltfreiheit in einer Zeit der Übergänge.“ Er befasste sich insbesondere mit historischen Analogien, mit denen Politiker*innen den Zerfall von Jugoslawien 1991 deuteten. Sie interpretierten die Geschehnisse auf dem Balkan oftmals dahingehend, dass sich Jugoslawien noch in einem vergangenen Zeitalter (dem 19. Jahrhundert, der Zwischenkriegszeit, dem Stalinismus) befinde oder in dieses zurückfalle; gleichzeitig orientierten sie ihre Friedenslösungen an der europäischen Vergangenheit, insbesondere dem europäischen Integrationsprozess sowie der deutschen Wiedervereinigung. Daniel Stahl (Universität Erlangen-Nürnberg) betrachtete in seinem Vortrag „‚Unser eigenes Nürnberg‘: Deutsch-argentinische Deutungskämpfe um Frieden und Gerechtigkeit“ die Rolle der Nürnberger Prozesse für die Demokratisierung Argentiniens ab Mitte der 1980er Jahre. Die Chiffre „Nürnberg“ steht dabei einerseits für den Vergleich der argentinischen Militärdiktatur (1976-83) mit dem Dritten Reich, andererseits für ein Modell, das Vergangenheitsbewältigung über Strafverfolgung zu erreichen sucht.

In der anschließenden Paneldiskussion standen wichtige Aspekte zur Debatte: Wie ausschlaggebend sind historische Analogien tatsächlich für die Politikgestaltung? In welchem Verhältnis stehen sie zu politischen, ökonomischen und anderen Interessen? Welche Umdeutungen der Geschichte sind im Spiel, z.B. wenn das Symbol „Nürnberg“ in andere Kontexte (wie Argentinien) übertragen wird? Abschließend überlegten die Panelisten, was die Fallstudien zu den Bedingungen aussagen, unter denen Deutungskämpfe zum Frieden beitragen. Ursprünglich vorgesehen, aber kurzfristig entfallen musste leider die Teilnahme der Diskutantin Gabi Schlag (Universität Tübingen) sowie der Vortrag von Christina Pauls (Universität Augsburg) zu „Epistemische Rissbildung im Rahmen von postkolonialer Erinnerung: Zum Potential künstlerischer Interventionen.“

Seine kritische Perspektive auf das Konferenzthema „Das Ende der europäischen und globalen Friedensordnung?“ präsentierte der Augsburger Friedensforscher Christoph Weller. Das besondere Fishbowl-Format des Panels „Krieg als Brille: Theorien von Ende und Wandel europäischer Friedensordnungen im Kontext des Krieges in der Ukraine“ (1.4.2023) ermöglichte dabei den Beteiligten, die Theorieannahmen und Beobachtungsperspektiven zu reflektieren, die den vorangegangenen Debatten über Kriege, Zeitenwenden und Friedensordnungen zugrunde lagen. Dies betraf, darauf machten die drei einleitenden Impuls-Referate von Frank Stengel (Universität Kiel), Lotta Mayer (Universität Heidelberg) und Christoph Weller (Universität Augsburg) aufmerksam, die sehr selektiven Wahrnehmungen der verschiedenen Konflikte in Osteuropa und ihrer unzureichenden Bearbeitungsformen, die Unverbundenheit disziplinärer Einzelbefunde, wenn ein differenziertes Verständnis von Eskalationsprozessen und Krieg erforderlich ist, sowie die beschränkte Perspektivität, wenn in eurozentrischer Arroganz über eine „globale Friedensordnung“ gesprochen wird, die nur in der Theorie oder als Legitimation imperialer Ansprüche vorhanden zu sein scheint.

Die intensive und offene Diskussion im Fischbowl-Format machte anschließend deutlich, wie theorieabhängig sowohl die Rede vom Ende der europäischen oder globalen Friedensordnung als auch alle Überlegungen für eine neue Friedensordnung sind: lassen sie sich in Reaktion auf den Krieg in der Ukraine überhaupt multiperspektivisch denken („Krieg als Brille“) und welche Aspekte werden in die Konstruktion einer solchen Prognose, in die Einschätzung einerseits der Eintrittswahrscheinlichkeit und andererseits der Wünschbarkeit unterschiedlicher Szenarien und die Wege, auf denen der fragliche hypothetische Zustand erreicht werden könnte, einbezogen? Nur unter Berücksichtigung solcher Fragen – das wurde auf dem Panel deutlich – lässt sich fundiert prüfen, welche Szenarien sich auf der Basis welcher Theorieansätze entwickeln lassen, mit Bezug auf welche normativen Annahmen Friedensordnungen mehr oder weniger wünschenswert sind, und derart sowohl auf die spezifischen Blindstellen und Stärken unterschiedlicher Theorieangebote reflektieren als auch im Zusammenspiel unterschiedlicher Ansätze hypothetische Szenarien hinsichtlich einer künftigen europäischen und/oder globalen Friedensordnung entwickeln.

Michaela Zöhrer (Universität Augsburg), als weiteres Mitglied unseres Verbunds, übernahm zudem die anspruchsvolle Aufgabe, die zuweilen kontroverse Diskussion bei der AFK-Mitgliederversammlung (31.3.2023) zu moderieren.

Daniel Stahl referierte neues Archivmaterial, das er gerade erst aus Buenos Aires mitgebracht hatte
Christian Methfessel analysierte u.a. Zitate aus Plenarsitzungen des Deutschen Bundestags

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